Andi Rieser

Das Gefühlsmässige und das Geistige in der Natur - Text Eva Kramis

"Zustände und Wechsel", ein treffender Titel für diese neuste Ausstellung, eigentlich für das gesamte Werk von Andi Rieser.
Beharrlich arbeitet er seit rund 25 Jahren, das Drucken hat sich für ihn nicht er-
schöpft, obschon er sich nicht als Druckgrafiker fühlt. Andi Rieser identifiziert sich vielmehr mit dem Zeichnen, das Bild ist im Vordergrund, nicht die Technik. Er experimentiert vorallem mit der klassischen Kaltnadelradierung auf unkonventionelle Weise – ritzt, kratzt, fräst, schleift. Das Drucken bringt ihn auch auf Inhalte, etwa wenn er zwei Platten aneinanderschiebt und sich so neue Bilder ergeben. Er geht immer mehr von den kleinen Formaten weg zu grossen hin. Und lässt in den hier gezeigten Bildern vielfach die Bänder, "Verschlaufungen und Verknotungen", wie er
sie nennt, weg zu Gunsten reiner Farbräume, die uns ganz hineinziehen. Ohne Glas und Rahmen präsentiert er sie, damit wir noch mehr eintauchen, die Distanz
zwischen Bild und Betrachtenden verschwindet. Haptisch, sinnlich ist die Wirkung, durch die vermeintlich fassbaren Linienspuren, die frischen Farben. Am liebsten arbeitet Andi Rieser mit reinen Farben. Farbe ist per Definitionem die "Empfindung,
die Lichtstrahlen ihrer Wellenlänge entsprechend dem Auge vermitteln". Die Lust des Künstlers an dieser Sinneswahrnehmung überträgt sich auf uns.
Er arbeitet über die Grenzen des Bildformates hinaus, dehnt den Bildraum über die Ränder in die Unbegrenztheit aus. Der untere weisse Streifen anderseits fördert ebenfalls die Ausdehnung, besser durch die gesetzte Grenze. Oder von einer "Bühne" spricht Andi Rieser auch – vom Vertrauten ins Unvertraute. Auch will er das Papier, den Bildträger, zeigen, die saubere handwerkliche Arbeit transparent machen.

Zustände und Wechsel

"Zustände und Wechsel" sind nicht nur inhaltlich gemeint, darauf kommen wir noch, Zustände und Wechsel ziehen sich wie ein roter Faden durch das Schaffen des Zeichners: Die Farbbänder erscheinen wieder in seinen jüngst in Lissabon entstandenen Aquarellen, in seinen von den portugiesischen Azulejos (farbigen Kacheln) inspirierten Arbeiten ( in der 2002 in der Basler Galerie Mäder gezeigten Arbeit, wie auch in Mustern im Schulhaus Schachen von vergangenem Jahr, wo Lebensmuster sich verbinden, fragmentieren, wiederholen und spiegeln), in seinen "Raumfahrten" wie er seine etwas älteren Arbeiten nannte. Die Linien oder Schlaufen fahren durch verschiedene Farbfelder, unterschiedliche Zustände. Zeichnung und Farbraum werden getrennt, einander gegenübergestellt, vereinen sich wieder. Schon 1986 gab es auf den ersten grossformatigen Radierungen "Nebelbilder", die sich bereits den Farbräumen annäherten. Farbraum und Zeichnung existieren in Riesers Werk seit langem und verändern sich laufend, scheinen sich zu befreien von Belastendem.
In der GSMBA-Dokumentation zur Innerschweitzer Kunst von 1997 schrieb Andi Rieser:
Ich möchte einstehen für die Farbigkeit des Lebens, für Wachstum und Veränderung. Ansonsten hat meine Arbeit nichts zu bedeuten. Ich wünsche ihr eine Selbstverständlichkeit, wie sie jedes Kind für sich beansprucht.

Stimmungsbilder – Meditationsbilder

Es ist schon erstaunlich, wie sich in diesem Werk Kraft und Feinheit, Erdverbunden-
heit mit Geistigkeit selbstverständlich verbinden. Andi Rieser arbeitet mit Ausdauer, auch als Bauer. Durch sein Atelierfenster sieht man seine vielen Schafe weiden.
Steile grüne Hänge ziehen sich neben dem kleinen Hof hoch. Er müsse noch Nesseln mähen, zäunen, die Schafe besorgen, holzen. Andi Rieser mag diese körperliche Arbeit, aber es geht ihm nicht mehr wie früher darum, sich zu erden, primär Lebensprozesse praktisch zu verstehen. Sein Verhältnis zur Natur hat sich gewandelt. Die Natur ist sein Ideenlieferant: Wolken, Sonnenlicht, Gras, Heu, Haare, Fell. Dabei geht er ohne feste Bildvorstellungen ans Werk. Er hat aber in seinen über die Jahrzehnte zunehmend abstrakten Bildern nie nur formal, sondern immer inhaltlich gearbeitet. Stimmungsbilder sind es, ruhige , leidenschaftliche, luftige und feurige,
die – erinnernd an die Romantik – das Gefühlsmässige und Geistige in der Natur betonen, Naturpoesie und Kunstpoesie verbinden.
Gerade die Farbräume mit den Farbwechseln lassen eben die im Titel angedeuteten "Zustände und Wechsel" spüren, Zeiten, die zu Ende gehen und Neubeginne ermöglichen. Sichtweisen, die sich ändern, weil eben der Blickwinkel sich ändert,
weil ein anderes Licht den Dingen eine andere Färbung verleiht. Woher komme ich? Wo stehe ich? Wohin gehe ich? Die uralten Fragen tauchen auf und können gerade
in den Bildern mit den zunehmend weniger ausgeprägten Formen fliessen, mit der feinen Struktur in den Farbräumen, mit Strukturen, die jedoch nichts festfügen.
Wo war der neue Zustand vorher, weshalb ist er sichtbar geworden? Es sind Meditationsbilder, stillere und aufgeregtere, fliessende Bewegungen und wirbelige,
die alle über das individuelle hinausweisen.
Lichtpunkte durchbrechen schattige Abschnitte – vielleicht geht es Ihnen wie mir, heute, morgen, in den nächsten Tagen, wenn sie in diese Bilder eingetaucht sind: Gras, Heu, Abschnitte des Pilatus, des Himmels werden ihnen als Farbräume mit Ritzzeichen erscheinen, Lichtspuren wie eingravierte Licht-Erinnerungen, als wären nicht Himmel, Pflanzen und Steine zuerst da, sondern das Bild davon.

Eva Kramis © Einführung Vernissage Galerie Kriens, 27. Mai 2005