Wechsel, Wind und Wetter
Ausstellung Andi Rieser 20. August bis 12. September 2010 Galerie Kriens/ Luzern
Einführende Worte von Eva Kramis ©
Wechsel, Wind und Wetter: Der Titel (eine ansprechende Alliteration) der Ausstellung von Andi Rieser beinhaltet die aktuellen Themen seiner Bilder.
2005 stellte der Künstler bereits hier aus, da hiess die Überschrift: Zustände und Wechsel, wie die Reihungen der farbigen Drucke, die ausgestellt sind.
Es fällt also nun der Begriff Zustände weg. In den jetzigen Bildern geht es noch mehr um Wechsel, um Wandel, Veränderungen. Zuvor muss es jedoch logischerweise kürzere oder längere Zwischen-Zustände gegeben haben. Auf die drei Begriffe werde ich gleich zurückkommen.
Die Einladungskarte zeigt eine malerische Fotografie von windbewegten Bäumen.
Fotografie ist ein ganz neues Medium, das Andi Rieser einsetzt.
Das heisst auch, dass die Fotoarbeiten nicht Vorlage für die Drucke sind, sondern für sich stehen. Und ein anderes Medium ist ebenfalls neu: die Hinterglasmalerei, aus purer Lust entstanden, da Andi Rieser für einmal vom Kupfer wegkommen wollte und da in seinem Wolhuser Druckatelier viele Glasplatten gestapelt lagen. Die Hinterglasbilder erinnern an die Drucke in Schwarzweiss zu Beginn der Neunzigerjahre, wo zeichnerische Elemente stark assoziativ ins Bild gesetzt sind. Die Schlaufen etwa und die Lineaturen sind wieder da, aber in ausgedehnteren Räumen und wie aus der Vogelperspektive.
Andi Rieser steht aber bislang eigentlich für Tiefdruck, für raffinierte Verfahren mit der klassischen Kaltnadelradierung vor allem – er ritzt, kratzt, fräst, schleift auf unkonventionelle Art, malt aussergewöhnlich mit den Kupferplatten: satte Farb- und Emotionsräume mit bewegten Linien, die Struktur und Tiefe geben. Jetzt verschwinden die Linien etwas in den Farbräumen, da diese zunehmend selbst Thema werden. Beharrlich arbeitet Andi Rieser in dieser Technik seit 30 Jahren: Das Drucken hat sich für ihn nicht erschöpft, obschon er sich nicht als Druckgrafiker fühlt. Das Bild ist im Vordergrund, nicht die aufwändige Technik, die zu den malerischen Effekten führt. Das Drucken bringt ihn auch auf Inhalte, etwa wenn er zwei Platten aneinanderschiebt und sich so neue Bilder ergeben.
Stimmungsbilder
Wechsel, Wind und Wetter: Symptomatische Begriffe für das Werk von Andi Rieser. Betrachten wir sie von hinten nach vorne.
Wetter steht da auch für Natur - innere und äussere Natur - ein Thema seit 1977. Der Künstler schrieb mir neulich selbst, dass sein Schaffen auf seiner «vertieften und intensiven Naturbetrachtung fusst, es ist eine Art Reflexion auf das Geschehen um mich und mein Empfinden darin». Wetter bezeichnet die kurzfristigen Zustände der Lufthülle um die Erde, also Zustände der Atmosphäre zu einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort. Das Wort Wetter kommt übrigens vom Althochdeutschen wetar = der Wind, das Wehen.
Wind: Bewegung und Luft sind sicht- und spürbar, am eindeutigsten auf den Fotos, wo Andi Rieser in der Provence (wo er sich aus familiären Gründen regelmässig aufhält) den Mistral bildlich einfängt. Es ist, als ob die Wärme und anschliessende Kälte dieses Windes aus dem Norden auf den Bildern für einen flüchtigen Augenblick an uns vorbeizögen, der Himmel stahlblau hinter den bewegten Blättern der hohen Bäume.
Es ist schon erstaunlich, wie sich in diesem Werk Kraft und Feinheit, Erdverbundenheit mit Geistigkeit selbstverständlich verbinden. Das Erdige erscheint im Gegensatz zu den Elementen Luft, Wasser und auch Feuer nicht direkt auf den Bildern, dafür in den Aktivitäten ausserhalb der künstlerischen Arbeit: Andi Rieser arbeitet mit Ausdauer, auch als Bauer und als einer der Haupinitiatoren des Tropenhauses Wolhusen. Bemerkenswerte Lebensenergien hat er in all seinem Tun, und diese Vitalität ist auch in seinen Werken fühlbar. Durch sein Atelierfenster sieht man seine vielen Schafe weiden. Steile grüne Hänge ziehen sich unter dem kleinen Hof hoch. Andi Rieser mag körperliche und (hochpräzise) handwerkliche Arbeit, aber es geht ihm nicht mehr wie früher darum, sich zu erden, primär Lebensprozesse praktisch zu verstehen. Sein Verhältnis zur Natur hat sich gewandelt.
Die Natur ist sein Ideenlieferant: Wolken, Wind, Sonnenlicht, Wasser, Blätter. Dabei geht er ohne feste Bildvorstellungen ans Werk. Er hat aber in seinen über die Jahrzehnte zunehmend abstrakten und reduzierten Bildern nie nur formal, sondern immer inhaltlich gearbeitet. Stimmungsbilder sind es, ruhige , leidenschaftliche, luftige und feurige, die – erinnernd an die Romantik – das Gefühlsmässige und Geistige in der Natur betonen, Naturpoesie und Kunstpoesie verbinden.
Gerade die Farbräume mit den Farbwechseln lassen eben die im Titel angedeuteten
Wechsel spüren, Zeiten, die zu Ende gehen und Neubeginne ermöglichen.
Wechsel scheint mir der wichtigste Begriff im Ausstellungstitel:
In allen Bildern von Andi Rieser sehen Sie Wechsel, Farbwechsel, Bewegungswechsel:
Wellen (Luft und Wasser), Wirbel, Wolken, Wind und Wehen - turbulente Strömungen (interessant, dass dieses Wirbeln in alle Richtungen noch in keiner mathematischen Gleichung definiert sein soll). Sie machen am Bildrand nicht Halt, der Bildraum ist über die Ränder in die Unbegrenztheit ausgedehnt (verstärkt wahrnehmbar in den Arbeiten, die ohne Glas und Rahmen präsentiert sind, da sich folglich die Distanz zwischen Bild und Betrachtenden verringert).
Die Bilder kommen und gehen, überlagern sich (in der Fotografie durch Überblendungen, in den Drucken durch Überlappungen), trennen sich - nichts bleibt: Es sind Momentaufnahmen, Ausschnitte aus etwas Zusammenhängendem, Fortlaufendem. Die Bilder lassen sich nicht festlegen, das ist typisch für den Künstler Andi Rieser. Wie Wolken, die vorbeiziehen, oder Wasser, das vorbeifliesst. Sichtweisen, die sich ändern, weil eben der Blickwinkel sich ändert, weil ein anderes Licht den Dingen eine andere Färbung verleiht. Durch die Rhythmen, die Wechsel und Unterbrechungen, wird die Zeit thematisiert. Was jetzt Gegenwart ist, wird im nächsten Augenblick Vergangenheit.
Woher komme ich? Wo stehe ich? Wohin gehe ich? Die uralten Fragen tauchen auf und können gerade in den Bildern mit zunehmend weniger ausgeprägten Formen (mit feineren Strukturen in den Farbräumen, mit Zusammenfügungen, die doch nichts festfügen) aufsteigen.
Wo war der neue Zustand vorher, weshalb ist er sichtbar geworden? Es sind Meditationsbilder, stillere und aufgeregtere, fliessende Bewegungen und wirbelige, die über das Individuelle hinausweisen.
© Eva Kramis, Basel/ Freiburg i.Br., Vernissage 20. August 2010